Verwaltungsrecht/Lärmschutz.
Kneipenlärm – kein reines
Sommertheater
Auch im Winter können
Anwohner sich gegen Lärm wehren
Auch in diesem Sommer beherrschte
ein Thema die Lokalseiten: Lärm aus Biergärten. Viel Lärm
um nichts!, sagen die einen. Kaum schlafen können dagegen Betroffene
– viele greifen zu Ohropax oder zum Immobilienteil, um eine ruhigere Wohnung
zu suchen. Dabei gibt es juristische Wege, um das jährliche Theaterstück
– auch in der kalten Jahreszeit – vom „Spielplan“ abzusetzen. Denn das
Berliner Landesimmissionsschtugesetz (LImSchG Bln) bestimmt: Von 22.00 bis 6.00
Uhr ist es verboten, Lärm zu verursachen, durch den andere Personen
in ihrer Nachtruhe gestört werden können (§ 3 LImSchG Bln).
Auch vorher jedoch dürfen Gäste oder Musik die Anwohner nicht
„objektiv unzumutbar“ stören: Diese, in § 2 LImSchG Bln
„Ruhezeit“ dauert von 20.00 bis 22.00 Uhr und erstreckt sich auch auf Sonn-
und Feiertage. Das LImSchG Bln gilt sowohl für Lärm aus Schankvorgärten
als auch für laute Geräusche im Kneipenraum.
Doch ab wann wird Lärm
objektiv unzumutbar? Das ist in der Technischen Anleitung zum Schutz gegen
Lärm (TA Lärm) definiert. In allgemeinen Wohngebieten (sie dienen
überwiegend dem Wohnen) darf tagsüber nur ein Dezibelwert von
55 db(A) gemessen, nachts sind es 40 db(A). In Mischgebieten gilt ein höherer
Immissionsrichtwert: 60 db(A) tagsüber, 45 db(A) nachts. Anwohner
können durch Blick auf den Flächenutzungsplan sehen, in welchem
Gebiet sie wohnen. Der ist aber nicht immer verlässlich. Entscheidend
ist die tatsächliche Nutzung. Maßgeblich ist die Lautstärke,
die am offenen Fenster (bzw. in der Wohnung) des Anwohners gemessen wird.
Rührt der Lärm aus dem Schankraum, gilt ein niedrigerer Wert:
Laut TA Lärm darf die Geräuschübertragung in Gebäuden
tags nicht mehr als 35 db(A), ab 22.00 Uhr nicht mehr als 25 db(A) betragen.
Es gibt in Elektronik-Fachgeschäften handliche, digitale Messgeräte
(200,- bis 400,- €).
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Die private Messung kann
jedoch nur ein erster Anhaltspunkt sein. Besser ist es, beim Wirtschaftsamt
des Bezirks schriftlich eine Schallpegelmessung zu beantragen. Die ist
verbindlich – und kostenfrei. Rührt der Lärm von einem Schankvorgarten,
sollte man vorher das Wirtschafts- oder Tiefbauamt fragen, ob der Gaststätteninhaber
überhaupt eine Sondernutzungserlaubnis für den Außenschank
hat. Das ist nicht immer der Fall. Liegt eine solche vor, sollte man weiter
fragen: Enthält die Gaststättenerlaubnis eine Auflage, wonach
der Inhaber seinen Schankvorgarten ausnahmsweise nicht bis zur gesetzlichen
Sperrstunde um 5.00 Uhr betreiben darf? Manchmal ordnet das Wirtschaftsamt
von selbst an, dass die Tische (etwa in Höfen) bis 22.00 Uhr einzuräumen
sind. Erhält der Anwohner keine Auskunft, sollte er sich auf das Informationsfreiheitsgesetz
berufen. Danach kann jeder Berliner beanspruchen, unverzüglich Auskunft
aus Akten (auch Gaststättenakten) zu erhalten. Man kann sogar beanspruchen,
die Akte einzusehen. Das Wirtschaftsamt Pankow ist aber leider restriktiv:
Gaststättenakten bleiben für Bürger und Anwälte verschlossen,
angeblich wegen Datenschutzes.
Das Wirtschaftsamt
wird den Antrag an das Umweltamt weiterleiten. Unter einer Voraussetzung:
Es müssen über Beschwerden über die Kneipe vorliegen. Daher
ist es ratsam, zuvor mehrere, detaillierte Anzeigen an das Wirtschafts-
oder Umweltamt zu erstatten, und zwar wegen unzumutbaren Lärms in
den Ruhezeiten. Unerlässlich ist es, Zeugen zu benennen, z.B. Polizisten
oder Nachbarn. Ansonsten wird das Ordnungswidrigkeitsverfahren meist eingestellt.
Gibt das Wirtschaftsamt aufgrund der Beschwerden „grünes Licht“, wird
das Umweltamt mit dem Antragsteller einen Messtermin vereinbaren. Das dauert
Wochen, ja Monate. Daher sollten Anwohner ihren Antrag nicht erst im August
stellen, und selbstbewusst drängeln. Es ist darauf zu achten, dass
die Schallpegelmessung verdeckt erfolgt. Nicht selten bemerken Gäste
das Mikrofon.
Belästigen Billardtische,
Flipper oder Musikanlagen, stellt das Umweltamt fest, ob diese „geeignet“
sind, unzumutbaren Lärm zu verursachen. Ist dies durch Messung in
der Anliegerwohnung bewiesen, muss der Wirt die Anlagen mittels Akustikers
auf eine zumutbare Lautstärke einpegeln bzw. gegen zu starke Schallübertragung
isolieren.
Und wenn die Behörde
nach der Schallmessung nichts unternimmt, d. h. weder die Sperrzeit vorverlegt
noch andere Auflagen erteilt? Dann kann der Betroffene beim Verwaltungsgericht,
drei Monate nach Stellung des Antrages auf Schallmessung bzw. Vorverlegung
der Sperrzeit, eine Verpflichtungsklage einreichen – jedoch nur unter Berufung
auf Lärm aus Kneipen, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur
Wohnung befinden. Ist der Lärm unerträglich, kann man zuvor eine
einstweilige Anordnung erwirken. Daneben gibt es die Zivilklage vor dem
Amtsgericht gemäß § 1004 BGB auf Unterlassung, gerichtet
gegen den Wirt. Doch die Beweisanforderungen sind hoch. Generell sollten
Betroffene den Gerichtsweg, wegen des Kostenrisikos, nicht ohne Anwalt
gehen.
Wer resigniert, dem bleibt immerhin die
Mietminderung. Denn Kneipenlärm stellt oft einen Mangel dar – selbst dann, wenn
der Mieter die Wohnung trotz einer vorhandenen Gaststätte angemietet hat. Zwar
wird der Vermieter einwenden, der Mieter habe den Lärm damit akzeptiert. Der
kann aber erwidern, er habe nicht gewusst, dass die Lärmschutzwerte
überschritten werden.
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